- Magazin
- Oper Frankfurt
- Dezember 2007, Januar/Februar 2008
- S. 5-6
Diesseits und Jenseits
Puccinis Entdeckung der kleinen Form
Text: Norbert Abels
In: Magazin, Dezember 2007, Januar/Februar 2008, Oper Frankfurt, S. 5-6 [Publikumszeitschrift]
Richard Specht akzentuierte 1931 das Werk des Meisters aus Lucca so: »Puccinis Musik weiß nichts von Gott, nichts von Geistigkeit und dem Rätsel der Welt, nichts vom Sinn des Lebens wie die der großen Meister, und sie gibt nicht, wie diese, Antwort auf die Fragen des Diesseits und Jenseits. (…) Sie vermag zu rühren und das Herz zu bewegen. Die Gottesstimme schweigt. Aber die Bruderstimme, die v o x h u m a n a , tönt laut.«
Verbindet ein unterirdischer Gang die Einakter des Trittico oder sind dessen drei Teile – in der Aufführungsgeschichte in unterschiedlicher Reihenfolge inszeniert – ohne jede Korrespondenz untereinander? Ein großer Teil der Pucciniliteratur behauptet das Letztere, erblickt in der burlesk-parodistischen Farbe des Schicchi kein Pendant zur »tinta nera« (Puccini), den finsteren Farben des Tabarro. Die Verse des Schlusschores von Suor Angelica, gedichtet vom geistlichen Freund des Komponisten, Pater Panicelli – in dessen Puccinibiografie von 1949 wird Puccini als »Atheist« bezeichnet –, entsteigen der drückenden, monastischen Sphäre, gleiten in einer nachgerade surrealen Phantasmagorie der empirischen Erdennot und verlieren sich im grenzenlosen Raum. Worin, so fragte man sich unablässig, soll just von dort eine Brücke geschlagen werden zur dumpfen Goldgier der florentinischen Erbbande des Schicchi, für deren höchst plastische Ausgestaltung der Librettist Giovacchino Forzano nur eine einzige Terzine aus dem XXX. Canto von Dantes Inferno benötigte: »Zu mir: Der Tolle dort ist Gianni Schicchi; in seiner Tollwut plagt er so die anderen. / Der einst des besten Stücks der Herde wegen Buoso Donatis Stelle eingenommen, sein Testament verfasst und unterschrieben.«
Variationen über den Tod. Er verleiht den drei Einaktern Puccinis eine gemeinsame Grundfarbe. Er ist der Fluss, der sie verbindet und in dem sich ihre Süchte und Passionen reflektieren: Eifersucht und sinnliches Begehren, Sehnsucht und Weltabkehr, Geldsucht und Kleingeist. Das Milieudrama (Il tabarro), die Seelenstudie (Suor Angelica) und die Burleske (Gianni Schicchi) umkreisen mit unterschiedlichen Akzenten allesamt das Sterben.
Die Spielorte sind Paris, ein Kloster und die Stadt Florenz. Il tabarro schildert mit sozialkritischem Verismus das hoffnungslose Elend der Seine-Schiffer, worin sich ein blutiges Eifersuchtsdrama entwickelt. Als lyrisches Gegenstück dazu entführt Suor Angelica in die Weltabgeschiedenheit eines Frauenkonvents: Die Tragödie einer Nonne, die im Freitod gipfelt und die vor ihrem Tod eine mystische Verklärung erfährt. Als Entlarvung spießiger Besitzgier ist das dritte Stück Gianni Schicchi zu sehen. Ein gewitzter Aufsteiger triumphiert hier über einen ganzen habgierigen Familienclan und bringt ihn durch doppelten Betrug um sein Erbe.
Il trittico war keineswegs eine zufällige Zusammenstellung dreier vorhandener Kurzopern, sondern das Ergebnis einer gezielten Stoffsuche. Seit der Vollendung der Tosca um 1900 verfolgte Puccini den Plan eines abendfüllenden Einakterzyklus. Ganz selten hat er einen Opernplan so souverän angesteuert.
Die Entstehungsphasen überschneiden sich. Kaum war im November 1916 Il tabarro beendet, beschäftigte sich Puccini bereits mit dem Drama von dem Freitod einer Nonne. Er unterbrach indessen schlagartig die Arbeit an Schwester Angelica, um mit der Komödie zu beginnen. Solcher Farbwechsel beflügelte ihn. Danach – lange war der Schicchi noch nicht beendet – kehrte er wieder zu dem todtraurigen Einakter zurück, voller Hoffnung auf dessen Wirkung beim großen Opernpublikum.
Eine sonderbare Generalprobe, die Anlass zu solcher Hoffnung gab, fand im Kloster statt. Während eines Besuches seiner in den Ordensstand getretenen Schwester Iginia – sie avancierte später zur Oberin im Kloster Vicopelago – rührte Puccini die versammelte Schwesternschaft zu Tränen, als er das Werk einschließlich des apotheotischen Schlusschorals – die Marcia Reale della Madonna – alleine am Klavier vorspielte.
Obgleich ihm aufgrund eines beständig sich verschlimmernden Augenleidens das Lesen schwer fiel, trug Puccini während der gesamten Entstehungszeit des Trittico eine Taschenbuchausgabe der Divina commedia bei sich. Jahre zuvor wollte er ein stofflich ausschließlich aus den drei Teilen der Divina commedia zusammengestelltes Triptychon komponieren. Dantes am Karfreitagabend angetretene siebentägige Jenseitsreise, die von der Hölle über den Berg der Läuterung zum Paradies führt, lieferte nicht nur die Wegmarken des geplanten Dreiteilers, sondern steigerte sich im Laufe der Jahre zum geistigen Fluchtpunkt des immer pessimistischer werdenden Puccini. Dantesk nehmen sich Puccinis Meditationen über die Fragilität von Ruhm und Ehre aus: »meine Erfolge? Sie vergehen und es bleibt wenig. Es sind vergängliche Dinge (…) das Leben vergeht, es schreitet zum Abgrund hin (…) und das Auge blickt in die Ewigkeit.« Von solcher Ewigkeit kündet das vom exponierten Diskantregister getragene, in die transzendentale Welt verweisende Finale von Suor Angelica, jener Einklang von drei Körpern: dem tief gelegenen Grabenorchester, dem großen gemischten Chor – im Himmel wird die irdische Polarität der Geschlechtertrennung zurückgenommen – und dem nach oben aufgerückten Bühnenorchester.
Puccini war wie Bach, Wagner, Schönberg und Berg von der Magie der Zahlen fasziniert und wusste, dass die »Drei« seit Urzeiten als Symbol der Vollkommenheit empfunden wurde, das sich medusenhaft freilich – die drei Rätsel der Turandot zeigen dies krass – in die Chiffre der Todesverfallenheit verwandeln konnte. Die Drei bildet zuvor das kleine Glück der Insassinnen: Verknüpft ist die Zahl hier mit der symbolhaften Lichtmetaphorik, die für alle Teile des Trittico gilt. Lehrmeisterin: »Ein hellglänzendes Zeichen der Güte des Allmächtigen! An drei Abenden nur im ganzen Jahre (…) schenkt uns der Herr das Glück, die Sonne zu sehen, die auf den Brunnen fällt und ihn vergoldet.«
Dantes unvergleichbares Poema sacro, in dem die wirkliche Welt gleichsam nach dem Gerichtstag über sie gestaltet wird und ihren in der göttlichen Ordnung verankerten Platz empfängt, besteht in enger Anlehnung an die religionsgeschichtlich durchaus weitverbreitete Vorstellung von der göttlichen Trinität aus drei Hauptteilen, die sich in jeweils 33 Gesänge gliedern. Der Stufenbau der drei jenseitigen Reiche lässt eine architektonische Form von wiederum drei mal drei Abschnitten erkennen. Schließlich korreliert mit solcher Anlehnung die Terzine als spezifische Form der commedia. Auch wenn der ursprüngliche Plan eines ausschließlichen Dante-Triptychons im Lauf der Jahre fallen gelassen wurde, bewahrte die der Trinitätsvorstellung entsprechende Grundidee des Trittico ihre Anziehungskraft für Puccini.
Erbittert musste er erleben, dass das Publikum nur jene Komödie vom Schlitzohr Dante goutierte, während das veristische und desolate Milieustück vom Mantel und erst recht das im Barockzeitalter angesiedelte Mysterienspiel um Verzweiflung, Tod und Verklärung mit perfider Obstinatheit abgelehnt oder gar ausgebuht wurden. Das war bereits bei der Premiere am 14. November 1918 an der New Yorker Met der Fall, wo trotz der Jahrhundertsängerin Geraldine Farrar in der Titelrolle das Mittelstück – Puccinis Lieblingsstück – frostig aufgenommen wurde. Das Gleiche ereignete sich in Rom, London und an anderen Theaterhäusern. Gegen alle Widerstände und Kritiker – zu denen auch Toscanini, »dieser Halbgott« (Puccini), gehörte – hielt Puccini lange an der Unteilbarkeit des Trittico fest. Dessen Rückbindung (lat: religio) war eben Dantes Reise durch die drei Reiche. Puccinis Proteste gegen die nun immer häufiger auftretenden Streichungen von Schwester Angelica und dann auch Il tabarro verhallten. Auch sein Verleger Ricordi wandte sich in dieser Sache gegen ihn. Am Ende resignierte Puccini und gab die Erlaubnis zur Fragmentierung des Trittico.
PREMIERE
Il trittico (Das Triptychon), Giacomo Puccini
Sonntag, 13. Januar 2008 I Weitere Vorstellungen: 17., 19., 25., 27. Januar; 1., 3., 9., 14., 22. Februar 2008
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Il tabarro (Der Mantel) I Text von Giuseppe Adami nach dem Schauspiel La Houpelande (1910) von Didier Gold
Suor Angelica (Schwester Angelica) I Text von Giovacchino Forzano
Gianni Schicchi I Text von Giovacchino Forzano nach einer Episode aus La Divina Commedia (1321) von Dante Alighieri Uraufführung am 14. Dezember 1918, Metropolitan Opera, New York
Musikalische Leitung Nicola Luisotti / Yuval Zorn I Regie Claus Guth I Bühnenbild Christian Schmidt I Kostüme Anna-Sofie Tuma Dramaturgie Norbert Abels I Licht Olaf Winter I Chor Alessandro Zuppardo I Kinderchor Apostolos Kallos
Il tabarro Michele Željko Lučić I Luigi Carlo Ventre/ Frank van Aken I Tinca Hans-Jürgen Lazar I Talpa Carlos Krause Giorgetta Elza van den Heever I Frugola Julia Juon I Liederverkäufer Daniel Behle I Ein Liebespaar Karina Kardasheva, Ricardo Iturra
Suor Angelica Suor Angelica Danielle Halbwachs I La zia principessa, Fürstin Julia Juon I La badessa, Äbtissin June Card La suora zelatrice Claudia Mahnke I La maestra delle novizie, Lehrmeisterin Eniko˝ Boros I Suor Genovieffa Angelina Ruzzafante Suor Osmina Edeltraud Pruß I Suor Dolcina Magdalena Tomczuk I Suora Infermiera, Pflegerin Etleva Rulfs Le Cercatrici, Bettelschwestern & Le Converse, Laienschwestern Michaela Friedrich/Hiromi Mori I Una novizia Alketa Hohxa
Gianni Schicchi Gianni Schicchi Željko Lučić I Lauretta Juanita Lascarro I Zita Julia Juon I Rinuccio Massimiliano Pisapia I Gherardo Daniel Behle Nella Angelina Ruzzafante I Betto di Signa Franz Mayer I Simone Carlos Krause I Marco Nathaniel Webster I Ciesca Claudia Mahnke Spinelloccio, Arzt Thomas Charrois I Notaio Dietrich Volle I Guccio, Färber Walter Jäkel I Pinellino, Schuster Matthias Holzmann
- Quelle:
- Magazin
- Oper Frankfurt
- Dezember 2007, Januar/Februar 2008
- S. 5-6
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