• Magazin
  • Styriarte
  • Verwandelt - 2/2019
  • S. 4-5

Styriarte 2019

Und alle sind verwandelt

Der große römische Dichter Ovid hat sie vorerzählt – und die Welt erzählt sie seit 2000 Jahren nach: die „Metamorphosen“ – das Buch von den „Verwandlungen“

Text: Thomas Höft

In: Magazin, Verwandelt - 2/2019, Styriarte, S. 4-5 [Publikumszeitschrift]

Ganz früher einmal, da war die Welt noch in Ordnung. Es herrschte das Goldene Zeitalter, und die Menschen lebten auf Erden glücklich und zufrieden. Sie waren nie krank, sie hatten immer genug zu essen und zu trinken, und alle waren einander in Freundschaft zugetan. Leider ging diese Zeit irgendwann zu Ende. Die Menschen des Goldenen Zeitalters, auch wenn sie nicht sichtbar alterten, mussten doch irgendwann sterben. Und so nahm das Unheil seinen Lauf.

 Publius Ovidius Naso, der Spross eines römischen Rittergeschlechtes, hatte sich fest in den Kopf gesetzt, Dichter zu werden, anstatt in der Senatsverwaltung des Kaisers Augustus das Münzwesen zu kontrollieren. Und nachdem seine Gedichte über die Liebe ein riesiger Publikumserfolg wurden, fühlte er sich zum Größten berufen. Nicht weniger als die Geschichte der Welt wollte er erzählen. In einem kolossalen Epos, das mit der Erschaffung des Kosmos und den paradiesischen Anfängen des Menschengeschlechts beginnt und bis in seine eigene Gegenwart führt: in die Regierungszeit des Augustus, die – man ahnt es schon – als Wiederherstellung des ersten Goldenen Zeitalters in den schönsten Farben ausgemalt wird.

Dieses Mammutwerk machte Ovid nicht nur zum berühmtesten Dichter Roms, sondern zu einem der wichtigsten Autoren der Weltgeschichte. Zwar hat er sich seine Handlung nicht selbst ausgedacht, sondern aus allen möglichen älteren Werken, aus Erzählungen und Legenden zusammengetragen, doch das in einem ganz eigenen, ganz poetischen Ton. So wie sein Epos um Verwandlungen kreist, so verwandelt er selbst die alten Mythen und Sagen. Er beseelt sie, er verbindet sie zu einem großen Ganzen und prägt so das Gedächtnis der Menschheit wie kaum jemand vor oder nach ihm.

Wie kann etwas über 2000 Jahre so wirksam, so bedeutend sein, dass es die Herzen so unterschiedlicher Menschen trifft? Ganz einfach: Ovid erzählt das ganz Grundsätzliche. Er erzählt die Geschichten, die wir alle kennen, die wir alle erleben, Tag für Tag. Und gleichzeitig überhöht er sie, veredelt die menschlichen Leiden so, dass sie weit über uns hinausweisen ins allgemein Humane. Nehmen wir dieses Beispiel: Jemand ist von sich selbst völlig überzeugt und verspottet andere, dass sie weniger wert sind als er selbst. Einer von den Verspotteten beschließt, sich für die Demütigung zu rächen und schmiedet einen schrecklichen Plan. So beginnt die Geschichte der wunderschönen Daphne, die für unsere heurige styriarte von großer Bedeutung ist. Der arrogante Snob ist der Gott Apollo, der Gedemütigte ist der Liebesgott Amor. Und dessen Plan ist übel: Er schießt einen Liebespfeil auf Apollo ab, damit der sich Hals über Kopf in die Nymphe Daphne verliebt. Die junge Frau jedoch wird von einem bleiernen Abneigungspfeil getroffen, der sie mit Hass gegen den Gott vergiftet. Beide haben keine Chance. Der Gott verfolgt die Frau, die sich in ihrer Not nicht mehr zu helfen weiß und ihren zauberkundigen Vater bittet, sie in einen Lorbeerbaum zu verwandeln, damit Apollo sie nicht mehr begehren kann. Diese Metamorphose geschieht auch, und der unglückliche Gott trägt seither einen Lorbeerzweig im Haar, der ihn an die Geliebte erinnern soll.

Was steckt nicht alles in dieser Geschichte? … Die Tragik unglücklicher Liebe, die Willkür der Gefühle, denen man ausgeliefert ist, der Zauber der Verwandlung … Man wird nicht müde, sie immer wieder neu zu interpretieren. Geht es um Natur und Kunst? Etwa um #MeToo? Ja, natürlich, und um noch so viel mehr. Man kann ein ganzes Festival mit Geschichten von Verwandlungen füllen, und genau das haben wir auch getan. Ovid ist dabei beileibe nicht unsere einzige Quelle, aber immer wieder kehren wir zu ihm zurück. Ihm selbst hat die Beschwörung des Goldenen Zeitalters übrigens nichts geholfen. Augustus verbannte den Dichter ans Schwarze Meer und holte ihn nie mehr zurück. Doch sein Werk, sein Geist bleiben unvergessen.


Freitag, 28. Juni, 20 Uhr
Helmut List Halle
Metamorphosen

Die schönsten Geschichten von Ovid
in der Fassung von Gustav Schwabs
„Sagen des klassischen Altertums“

Musik von Britten, Debussy, Beethoven,
Messiaen & Mozart
György Ligeti: Sechs Bagatellen für
Bläserquintett

Peter Simonischek, Lesung

Maria Beatrice Cantelli, Flöte
Markus Deuter, Oboe
Wolfgang Kornberger, Klarinette
Tonia Solle, Fagott
Christian Binde, Horn & Leitung