• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • November / Dezember 2024
  • S. 12-13

Die Königin und die anderen - mal anders

Text: Zsolt Horpácsy

In: Magazin, November / Dezember 2024, Oper Frankfurt, S. 12-13 [Publikumszeitschrift]

Die Krise der Royal Academy of Music in London war 1728 mit der unerwarteten Kündigung ihrer Stars in Georg Friedrich Händels italienischer Opernkompanie vorprogrammiert. Gleich drei große Sängerpersönlichkeiten kehrten nach Italien zurück, so dass Händel plötzlich die Zuschauer und Opernaktionäre fehlten. So musste die nächste Spielzeit wegen Besetzungslücken komplett gestrichen werden. Dementsprechend stürzten die Opernaktien plötzlich ab und der Komponist/Großunternehmer Händel musste schnell nach Italien aufbrechen, um dort neue Publikumsmagnete aufzuspüren.


Rettet die Aktien!

Dank seines europaweit einwandfrei funktionierenden Netzwerks und sicheren Gespürs schaffte er es in wenigen Monaten, ein neues, funktionsfähiges Ensemble für London zu stemmen, ob wohl ihm die echten Stars der damaligen Opernwelt abhandengekommen waren. Ein »Weiter so« durfte es auch im Repertoire nicht geben. Neue Stücke, Klänge, Geschichten und Farben mussten her. Der Ausweg aus der Krise war alles andere als einfach: Händels Versuch, mit Lotario die Aktiengesellschaft zu reanimieren, scheiterte krachend. Die neue Oper floppte und wurde sofort abgesetzt. Als »Joker« wurde ein Erfolgsstück aus dem Fundus, Giulio Cesare in Egitto, als Wiederaufnahme an gesetzt, bevor Händel – unter enormem finanziellem Druck – in der Hoffnung auf eine Wiederbelebung der Kompanie Partenope präsentieren konnte.

Das Libretto von Partenope greift auf einen Text des römischen Dichters Silvio Stampiglia zurück, der moralisierenden, düsteren Handlungen und Pathos lebendige Geschichten und beißende Komik vorzog. Eine gewiefte Politikerin, eine betrogene Braut, die sich als Mann verkleidet, und drei heiratswillige Herren aus den besten Kreisen sorgten in Händels Tragikomödie für jede Menge Trubel – und kurbelten die Opernaktien erwartungsgemäß hoch.


Skurrile Komödie

Nur auf den ersten Blick erfüllt die Handlung alle Anforderungen, die an das Libretto einer Opera seria gestellt werden. Das Stück geht auf einen antiken Stoff zurück. Der Name Parthenope ist in der griechischen Mythologie in doppelter Weise zu finden. Zum einen war Parthenope eine der Sirenen, die Odysseus – ohne Erfolg – verführen wollten. Doch mit dieser hat Händels Partenope gar nichts zu tun. Wir lernen sie vielmehr als hochprofessionell regierende Königin kennen, die ihre ganze Umgebung fabelhaft manipulieren und das Geschehen trotz komplettem Gefühlschaos effektiv lenken kann. Vermutlich waren es die Leichtigkeit und der Sarkasmus der literarischen Vorlage, die Händel besonders reizten: So konnte er die festgefahrenen und starren Formen der Opera seria einerseits wiederbeleben und auflockern, andererseits mit (selbst-)ironischen Untertönen und absurden Wendungen in eine freche musikalische Komödie umwandeln.

Die drei Herren, die um die Hand der Königin ringen, bilden ein skurriles Trio: Arsace ist ein galanter Möchtegern-Frauenheld, der aus seiner Beziehung in ein erotisches Abenteuer und damit in eine Identitätskrise stürzt, ohne zu wissen, was er eigentlich will. Lernen wir hier den Protagonisten in mitten seiner heftigen Midlife-Crisis kennen? Armindo stellt das genaue Gegenteil von Arsace dar: Er ist ein Melancholiker, dem der Mut und die Energie fehlen, seine Liebe zu artikulieren. Selten wartet man so lange in der Opernliteratur auf die Liebeserklärung eines (Anti-)Helden, der zum Schluss – wider Erwarten – die selbstbewusste Königin heiraten darf. Der einfältige Emilio versucht, Partenopes Liebe mit seiner Armee zu erzwingen. Er wird zu nächst gedemütigt, dann in der Schlacht besiegt und festgenommen. Doch am Ende erhält er ein überraschendes Friedensangebot der Königin – und damit eine Lektion in Sachen Diplomatie.


Wen soll ich denn lieben?

Partenope ist keine gewöhnliche Heldin einer Opera seria: Sie agiert vielmehr als unabhängige, mächtige Frau, die sich nach Lust und Laune »wie ein Falter« die Freiheit nimmt, von einem Liebhaber zum nächsten zu wechseln – ohne dabei zu moralisieren.

Durch ihre exzellenten Menschenkenntnisse und Führungsqualitäten, vor allem aber durch ihre unstillbare Lust am Spaß und Spiel gehört sie zu den originellsten Frauenfiguren in Händels Opern. Als wandlungsfähige Politikerin regiert Partenope mit Erfolg, wobei sie weder ihre hedonistischen Züge noch ihren Zynismus verstecken muss.

Doch die treibende Kraft der musikalischen Komödie ist nicht die Titelfigur, sondern Rosmira. Sie passt auch nicht so richtig in das Charakterschema einer Opera seria. Als moderne, emanzipierte Frau versucht sie ihren wankelmütigen Verlobten Arsace zurückzugewinnen und geht dabei bis zum Äußersten. Als Mann verkleidet kann sie wesentlich effektiver handeln, als ihr dies als Frau erlaubt gewesen wäre. In dieser charismatischen Co-Protagonistin zeichnen Händel und Stampiglia ein verblüffend modernes Porträt.


Leichtigkeit, Ironie, Farce

Im Verlauf der Oper entwickeln sich die Figuren überraschend und werden von den Autoren in unerwartete Richtungen gelenkt. Sie erleben und erleiden alle möglichen Freuden und vorübergehenden Qualen einer wunderbaren musikalischen Komödie mit Tiefsinn.

Partenope markierte den erfolgreichen Ausweg aus Händels größter Opernkrise. In die Ecke gedrängt, arbeitete er plötzlich mit neuen kompositorischen Mitteln. Wir lernen ihn von einer neuen Seite kennen, wobei er, notgedrungen, eine fabelhafte Leichtigkeit entwickelt. Die Entstehung dieser unkonventionellen Partitur war gewiss durch eine ernst zu nehmende Musik-Theater-Konkurrenz geprägt. Denn in der frisch gegründeten und sehr erfolgreichen »Beggar`s Opera« wurden die Stücke in englischer Sprache aufgeführt. Das vielseitige, auch singende Schauspielensemble zwang Händel, die festgefahrenen Muster der italienischen Opera seria mit einem neuen Team zu sprengen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ungewöhnlich viele Ensembles hat Händel in die Partenope-Partitur integriert, um seine neue Besetzung ohne kapriziöse Stars im Duett, Terzett oder Quartett zu präsentieren. Nicht die Tugenden, sondern die Makel, Unsicherheit und Verletzlichkeit der Figuren rücken in diesen Ensembles in den Mittelpunkt. Mit doppelbödigen Charakteren und radikal verkürzten Affektdarstellungen legt Händel die Opera seria neu an, so dass er damit die verstaubte Gattung infra gestellt und neue Perspektiven eröffnet. Als hätte er während der Entstehung von Partenope Shakespeares Komödien vor Augen gehabt und ihre Leichtigkeit, Tiefsinn und Weisheit bewundert. Was ihr wollt. Ein (möglicher) Untertitel zur »Aktienretterin« Partenope?

 


 

PARTENOPE
Georg Friedrich Händel 1685-1759

Oper in drei Akten / Text nach Silvio Stampiglia / Uraufführung 1730, King’s Theatre, London / In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

FRANKFURTER ERSTAUFFÜHRUNG Sonntag, 10. November, Bockenheimer Depot
VORSTELLUNGEN 12., 14., 16., 20., 22., 25., 27. November

MUSIKALISCHE LEITUNG George Petrou INSZENIERUNG Julia Burbach BÜHNENBILD Herbert Barz-Murauer KOSTÜME Raphaela Rose CHOREOGRAFIE Cameron McMillan LICHT Joachim Klein DRAMATURGIE Zsolt Horpácsy

PARTENOPE Jessica Niles ROSMIRA Kelsey Lauritano ARSACE Iurii Iushkevich ARMINDO Cláudia Ribas° EMILIO Magnus Dietrich ORMONTE Jarrett Porter

°Mitglied des Opernstudio